Kirche Rüsseina
Das Kirchgebäude
Aus welcher Richtung man sich auch dem Ort Rüsseina nähern mag, schon von ferne grüßt das gewaltige Kirchengebäude. In der Baugeschichte verbirgt sich eine kleine Kuriosität, denn vor 1782 stand das alte Kirchenschiff nach Westen, der Turm stand im Osten; und der Altarraum befand sich direkt unter dem Turm. 1786 wurde unter Beibehaltung des mittelalterlichen Turmes das große Langhaus errichtet, das nun in etwas überproportionaler Weise östlich zum Turm steht.
Renovierungsarbeiten zwischen 1995 und 1999 lassen das Gebäude in neuer Farbigkeit erstrahlen. Innen bietet sich dem Besucher eine imposante Raumgestaltung, die Elemente des Barock und des Klassizismus aufgreift. Dies wird besonders an dem für diese Gegend typischen Kanzelaltar sichtbar. Familienschilder und Gesangbuchkästen in den Bänken zeugen noch von altangestammten Familienplätzen, die bereits vor dem Bau der Kirche zu deren Finanzierung gelöst wurden.
Mit zwei Emporen und über 1200 Sitzplätzen ist die Kirche zu Rüsseina eine der größten Dorfkirchen in Sachsen. Die Orgel des damaligen sächsischen Hoforgelbauers Jehmlich, Dresden (1871), vermag mit ihrem Klang in gelungener Abstimmung den gesamten Kirchenraum zu füllen. Sie gehört zu den besten Dorfkirchenorgeln im Kirchenkreis Meißen.
Auf Grund der konzertsaalähnlichen Akustik finden in der Kirche neben Gottesdiensten auch häufig kirchenmusikalische Veranstaltungen statt (Januarkonzert, Himmelfahrtskonzert, Erntedankkonzert am drittletzten Septembersonntag, Adventsmusik).
2004/05 konnte die mechanische Jehmlichorgel (erbaut 1871) grundlegend renoviert werden. Im Zuge dieser Generalüberholung konnte durch Eigeninitiative von Gemeindegliedern ein neuartiges System zur Winderzeugung installiert worden, welches den ursprünglichen Kastenbalgbetrieb wieder ermöglicht. Die Gesamtkosten der Generalüberholung beliefen sich bei ca. 80.000 €. Fast die Hälfte der Kosten hat die Kirchgemeinde selber getragen.
Sowohl der aus dem Mittelalter stammende Kirchturm als auch das imposante Langhaus von 1786 konnten zwischen 1995 und 1999 bzw. 2004 grundlegend erneuert werden (Turmbekrönung, Balkenwerk, Schwammsanierung, Dach, Fassade, Fenster).
kleiner Kirchenführer
Lieber Kirchenbesucher! Seien Sie herzlich willkommen in unserer Rüsseinaer Kirche. Von weitem her ist sie ein unübersehbares Wahrzeichen dieser Gegend. Ohne es zu ahnen, haben Sie - vom Friedhof her kommend - bereits das Kirchenschiff der Vorgängerkirche durchschritten, sind über den ehemaligen Altarplatz unter den Turm hindurch nun in die „neue“ Kirche eingetreten. Über Jahrhunderte diente eine Chorturmkirche mit wuchtigem romanischen Turm und westlich vorgelagertem kleinen Schiff als geistliches Zentrum für die über 25 umliegenden Ortschaften (sog. Urpfarrei).
Bereits 1090 war unter Kaiser Heinrich III. „Rocina“ als Pfründe des Domes zu Meißen erwähnt worden. Bis ins 19. Jahrhundert hinein blieb die Aufsicht des Domka-pitels über die Kirchfahrt Rüsseina erhalten (zur Erinnerung der Hirtenstab in der Wetterfahne des Turmes). Ständige Klagen über die Enge der Kirche führten zu dem Entschluss eines Kirchenneubaus. Während das alte Schiff vorerst für Gottesdienstzwecke stehen blieb, wurde 1782 - 1786 östlich des Turmes ein gewaltiges zweites Kirchenschiff in der Art eines Saalbaues angefügt. Man stelle sich dieses Kuriosum vor: ein Turm inmitten zweier Kirchenschiffe! Die zwei großen Stützmauern west-lich des Turmes zeugen noch heute von dem mittelalterlichen westlich vorgelagerten Kirchenbau. Interessant dabei auch: Die ehemalige Ostaußenseite des Turmes ist seit 1786 im Dachboden schützend eingeschlossen und zeigt uns noch heute die kleinen Außenfenster und die mindestens 300 Jahre alte Putzgestaltung mit Resten einer Eck-Quaderung.
Bei der Außenrenovierung 1995/96 bzw. 2004 wurde dies gestalterisch umgesetzt. Die schöne Renaissance-Giebelgestaltung ist ein Zeugnis von Umbauarbeiten im 16. Jahrhundert. Ob der Dachreiter mit Laterne erst mit dem Neubau 1782-86 aus optischen Gründen aufgesetzt wurde oder bereits früher, ist unklar. Die Außenproportionen bleiben ungewohnt: Der First des Kirchenschiffes ist lediglich ca. 1 m niedriger als der des Turmes. Der frühere Baupfleger Möller pflegte deshalb von der „Glucke zu Rüsseina“ zu sprechen.
Der imposante Kirchenraum bietet heute über 1.200 Leuten Platz. Vor dem Ausbau der Ostempore (hinter dem Altar verlaufend) waren es 1.400 Plätze. Damit ist die Rüsseinaer Kirche eine der größten in Sachsen. Zur 100-Jahrfeier 1885/86 hatte man die Kirche leicht umgestaltet und durch Dekorationsmaler Bohl aus Kötzschenbroda mit einer einfachen Holzimitationsmalerei („Bierlasur“) ausmalen lassen, was dem großen Kircheninnenraum eine recht warme Atmosphäre verleiht.
Die vielen Namensschilder in den Bänken erzählen von alt eingesessenen Familien, die ihren Kirchenplatz bereits vor Baubeginn „kauften“ und damit den Kirchenbau mitfinan-zierten (zwischen 1-3 Taler pro Familiensitz; 1 Taler Kaufkraft entspr. heute ca. 300 Euro). Die Einwohner des Nachbardorfes Stahna, das früher zu Leuben eingepfarrt war, spendeten für den Kirchenbau nur unter der Be-dingung, dass sie einen Platz in der Rüsseinaer Kirche bekommen. Wie sind die Zeiten doch anders geworden! Wie viele von den Nachkommen derer, die damals für ihren Familiensitz einen hohen Einsatz einbrachten, wissen heute noch, dass sie ihren Platz in der Kirche haben?
Nach protestantischem Kirchenverständnis ist der Kirchenraum in einer Achse konzipiert, die über den Taufstein (farblich gestaltetes Gusseisen, 1871, gleiches Modell im Dom zu Bautzen) auf den Kanzelaltar zuläuft.

Vor Ihnen erhebt sich ein typischer Kanzelaltar, wie er sich in vielen sächsischen Kirchen befindet. Der Hainichener Künstler Gottlob Stecher bediente sich schlichter barocker Formen und setzt in klassischer Weise protestantisches Glaubensgut um: Der Kanzelaltar wird von oben nach unten „gelesen“.
Die sonnenähnliche Gloriole mit dem Symbol des dreieinigen Gottes steht für die Herrlichkeit Gottes. Gott ist aber nicht im Himmel “gefangen“, sondern leuchtet in diese Welt hinein. Der Himmel ist offen. Die beiden Gewölbehälften (Himmelsgewölbe) geben in der Mitte Raum. Die Herrlichkeit Gottes wird durch sein Wort unter die Menschen gebracht. Dafür steht die Kanzel, die mit den Symbolen Kreuz, Anker und Herz nach Apostel Paulus Schwerpunkte göttlicher Gaben setzt: „Nun aber bleiben Glaube (Kreuz), Hoffnung (Anker), Liebe (Herz), diese drei, aber die Liebe ist die größte unter ihnen“ (1. Kor. 13,13). Zusätzlich weist das Christusmonogramm mit dem ersten und letzten Buchstaben des griechischen Alphabets auf die Unendlichkeit und Allgegenwart Jesu Christi hin. Unter dem Wort Gottes versammelt sich die Gemeinde um den Altar zum Abendmahl. Wort Gottes und christliche Gemeinschaft gehören zusammen.
Im Zuge der Renovierung 1885/86 hatte man sich entschlossen, die Ostfenster durch Buntglasfenster zu ersetzen, die durch die berühmte Buntglasfirma Tuercke aus Zittau gefertigt wurden. Die unteren Fenster zeigen im Symbol die vier Evangelisten Matthäus (Engel), Markus (Löwe), Lukas (Stier) und Johannes (Adler). Leider war die Dresdner Firma Schreiner jeglicher christlicher Symbolik dermaßen unkundig, dass sie bei der Reno-vierung der Fenster 1982-85 - neben einer Unzahl von weiteren Fehlern - die Reihenfolge der Evangelisten vertauschten und anstelle des Engels gleich noch einen zweiten Stier fabrizierten. So geschieht es, wenn dem Kunsthandwerk die Grundkenntnisse christlicher Kultur abhanden kommen. Aber auch das ist ein Zeugnis unserer Geschichte.
Rüsseina war geprägt durch mehrere Metallfachbetriebe. Dies spiegelt sich in der Ausführung des Zentralleuchters wider, den Schmiedemeister Gerhard Pilz im Jahre 1985 nach dem Entwurf des Berliner Architekten Klaus Partheil geschaffen hat.
Dass Rüsseina heute eine wunderbare und solide Orgel hat, ist das Ergebnis einer schlechten „Spar-Erfahrung“. 1785 hatte man sich entschlossen, anstelle der für 1.060 Taler angebotenen Kaiser-Orgel (Dresden) eine Sparvariante der Lommatzscher Firma Richter für 900 Taler einzubauen. Diese aber war mit so vielen Mängeln behaftet, dass die Rüsseinaer sich bereits 1871 für die Anschaffung einer Qualitätsorgel des sächsischen Hoforgelbaumeisters Eduard Jehmlich entschlossen (3.800 Taler). Die Orgel konnte 2005 zusammen mit der Reaktivierung der alten Balghebeanlage gründlich generalüberholt werden und besticht durch Klangfülle und Farbenreichtum. Mit zwei Manualen hat sie 27 klingende Register und über 2000 Pfeifen. Die Orgel befindet sich der Kanzel gegenüber. Das Wort Gottes soll nicht ohne Antwort bleiben. So steht die Orgel für die klangvolle Stärkung einer singenden Gemeinde.
900 Jahre lang musste sich das Volk, wenn es im Winter in die Kirche ging, warm anziehen. Man saß allerdings im Hinblick auf den Kirchenbesuch enger als heute. Im Jahre 1900 wurde eine Niederdruck-Dampfheizung für knapp 8.000 Reichsmark eingebaut, die bis zum heutigen Tag den Kirchenraum sehr effektiv ausheizt (die Rohre verlaufen unterhalb der Bankreihen). Lediglich der Heizkessel wurde auf Öl umgestellt. Die vorderen fünf Bankreihen können zusätzlich mittels einer modernen energiesparenden Flächenheizung beheizt werden (Fa. Candor, Referenzobjekt).
Sonntäglich finden 8.30 Uhr bzw. 10.00 Uhr Gottesdienste statt. Gern werden in dieser Kirche Konzerte auf-geführt, da die Akustik konzertsaalähnliche Züge hat. Die Konzerte finden statt: Mitte Januar, Himmelfahrt, Mitte September; zusätzlich regelmäßig Orgelvespern in der Sommerhälfte. Zur Kirchgemeinde Rüsseina gehören heute 19 Dörfer. Sie ist Schwestergemeinde der Kirchgemeinden Raußlitz und Wendischbora.