Gedanken über die Stille

Haben Sie mal aufgehorcht und die Stille antworten hören? Im Urlaub, bei offenem Fenster in der Berghütte? Spät abends? Nichts zu hören. Kein Laut. Plötzlich fällt ein Blatt vom Baum. Leichtes Erschrecken. Stille ist beides: Heilsam und gefährlich. Ruhe ist etwas anderes als Stille. Ruhe ist Zurücklehnen und Entspannen. Stille ist Aufmerken und Horchen. Schweigen ist etwas als Anderes als Stille. Schweigen heißt, auf Sprechen verzichten. Stille ist höchste Aktivität und Anwesenheit. Einsamkeit ist etwas Anderes als Stille. Einsamkeit ist Isolation, freiwillig oder gezwungenermaßen. Stille ist Wahrnehmung des Gegenübers. Mensch, Natur, Haus und Raum.
Gerhard Engelsberger schreibt über die heilende Kraft der Stille: "Er war weit gegangen, abseits der Straße auf Wegen, die kaum erkennbar waren. Weit ist er gegangen, ziellos, mit der gelassenen Bereitschaft, einem Glück zu begegnen. Da war ein stilles Leuchten am Gegenhang. Nicht fordernd und lodernd wie der Dornbusch in der Wüste. Nicht drängend und eilend wie die Feuersäule bei Nacht. Es war das stille Leuchten eines Herbstbaumes in der tiefen Sonne. Er stand und spürte nicht, dass er stand. Sammelte mit allen Sinnen kostbare Farben und Klänge. Er hat den heiligen Boden nicht betreten. Man erzählt, sein Gesicht habe geleuchtet, als er zurückkam. Seinen Beruf als Maler habe er aufgegeben. Man erzählt, er singe nun Lieder. Er, der von Geburt an stumm gewesen, singe nun Lieder..." (aus: Stille heilt. Atemholen zwischen heute und morgen, Stuttgart 1999).
Stille entfaltet eine heilsame Kraft. Sie kann gefährlich werden im einsamen, gottverlassenen Grübeln.
Dann braucht's Gebet. Ganz besonders von Anderen.
Manchmal geben wir der Stille keine Chance. Musik auf den Ohren, Radiobeschallung im Auto, im Kaufhaus, im Restaurant. Aber sie kommt von allein, wenn wir sie lassen. Die gute Stille birgt. Sie richtet auf. Bereitet eine Äußerung vor. Die Gepeinigten können sich wehren. Die Harten werden milde und die Zaghaften mutig. Den Neugeborenen schafft sie einen nährenden Raum. Den Sterbenden schenkt sie ein tröstendes "Du bist nicht allein!" Stille heilt. In ihr wirkt der Segen Gottes.
Ich wünsche Ihnen stärkende Momente im November, dem Monat der Stille.
Ihr Karsten Loderstädt
vom